Zugfahren. Grade zuhause ist dies eher ein Reisemittel der zweiten Wahl. Immer zu spät, zu voll, die Klimaanlage funktioniert nicht richtig und darüber hinaus auch noch teuer. Und wenn man doch mal mit der Bahn fahren muss, dann geht die Fahrt hoffentlich schnell vorbei. Hauptsache man hat etwas zu lesen dabei oder noch besser – kann einen Film am Laptop schauen, und wenn gar nichts mehr hilft, schläft man hoffentlich ein.
Diese Zugfahrt sollte anders sein, vielleicht meine erste Zugfahrt, die ich antrete um nicht von einem Ort zum anderen zu kommen. Sondern um zu reisen, um in Bewegung zu sein, um Dinge zu sehen, die ich vorher noch nicht gesehen habe. Um für eine kurze Zeit mit Menschen zusammen sein, die die gleiche Destination haben, aber ganz anders leben als ich, um zu lernen, zu beobachten und einfach nur da und unterwegs zu sein.
Unsere Tickets kaufen wir am Bahnsteig in Hispaw, natürlich nicht an einem Automaten, sondern in einer windschiefen Bretterbude. Sorgfältig wird hier mit Stift und Papier dokumentiert, wer wohin reist und wieviel bezahlt. Wir bezahlen natürlich mehr als die Einheimischen, und „gönnen“ uns die erste Klasse. Wenn wir schon über 7 Stunden reisen, dann vielleicht doch auf einem gepolstertem Sitz. Mit uns kaufen noch zwei andere Ausländer Tickets und dann warten wir am Bahnsteig. Mit einem Rucksack stehen hier die wenigsten, die Einheimischen tragen meist körbeweise Essen oder Reissäcke mit herum. Die fliegenden Händlerinnen laufen ab und ab, Kinder springen zwischen den Gleisen hin und her. Ob der Zug pünktlich ist weiß kein Mensch, Anzeigetafeln gibt es nicht. Die Bahn kommt, wenn sie kommt. Eine Alternative gibt es sowieso nicht. Also warten auch wir.
Bis plötzlich die Schienen knistern, klappernd und schnaufend läuft der Zug ein. Die fliegenden Händlerinnen werden jetzt aktiv, kaum kommt der Zug zum stehen stürmen sie in die Abteile und verkaufen Insektensnacks und frisches Obst aus den Körben, die sie auf den Köpfen tragen. Wir haben unseren Platz gesucht und fanden gepolsterte Einzelsitze vor. Fensterscheiben waren nicht vorhanden, es gab lediglich Rollos, die aber aussahen als hätte diese noch nie jemand benutzt. Die Farbe an den Wänden und den Sitzen ist abgeplatzt, die Sitze sind durchgesessen. Die Ventilatoren an der Decke hatten auch schon bessere Zeiten gesehen. Vor 40 Jahren war dies bestimmt ein prächtiger Zug, jetzt erinnerten nur noch die blütenweißen Kopfteilüberzüge an vergangene Zeiten.
In unserem Abteil waren zwar die meisten Ausländer, aber immernoch ein verschwindend geringer Teil. Neben uns saßen lange Zeit zwei ältere Damen mit farbenfrohem Blumenschmuck im Haar und reichlich Essen, sorgfältig in zahllosen Plastiktüten verpackt. Ihr wertvollstes Gut schien allerdings ein liebevoll verzierter Hahn aus Porzellan, dieser durfte die ganze Fahrt auf der Armlehne Platz nehmen und wurde nicht aus den Augen gelassen.
Wir machen es uns gemütlich, immerhin sollte dies unser Wohnzimmer für die nächsten sieben Stunden sein. Der Zug setzt sich langsam in Bewegung. Die Geschwindigkeit sollte sich nicht besonders erhöhen, also schaukeln wir los – durch die burmesische Landschaft. Wie vielfältig diese Landschaft ist konnten wir zwar bereits auf der Taxifahrt erkennen, sind aber jetzt doch überwältigt. Außer den Metropolen Yangon und Mandalay, die hauptsächlich aus Betonklötzen und verfallenen Gebäuden aus glorreichen Tagen bestehen, sowie Bagan, das eher einer roten Steppe zu dieser Jahreszeit gleicht, hatten wir bisher noch nicht viel anderes gesehen.
Plötzlich war Myanmar nicht mehr nur grau oder rot, sondern grün – sattgrün und farbenfroh. Grüne Felder, Wälder und Ackerland so weit man schauen konnte. Der Zug hält immer wieder in kleinen Ortschaften, dann herrscht große Aufruhe. Im Abteil und am Bahnsteig, der nicht mehr als ein plattgetretenes Feld ist. Freudig werden Tanten, Omas, Freunde begrüßt, Essen wird umhergetragen und weitergereicht, Mitfahrer kommen und gehen. Und Immer wieder fliegende Händler.
In einem etwas größerem Ort steigt ein Junge und ein Mädchen ein, er mochte vielleicht 16-18 Jahre alt sein, sie maximal 14 Jahre. Schüchtern und scheu fragt er, ob die beiden sich zu uns setzen können. Die alten Frauen mit dem Porzellanhahn waren inzwischen ausgestiegen und die zwei Kinder nahmen Platz. Der Junge stellte sich uns in ein paar Worten auf englisch vor, seine Schwester war zu scheu um zu reden. Er berichtet dann gebrochen aber eifrig, dass die beiden jeden Tag auf den Zug warten. Sie wissen, dass der Zug hier immer ca. 15 Minuten hält, die Zeit nutzen sie um in die erste Klasse zu steigen um nach Ausländern Ausschau zu halten mit denen sie Englisch üben können. Er erzählt uns weiter, dass die Lehrer in der Schule oft selber kein Englisch sprechen und die Kinder nur die Bücher zum lesen haben. Sein Traum ist es mal Touristenguide zu werden und dafür müsse er eben Englisch üben. Seine Schwester taut auch langsam auf und fragt mich Textbuchfragen (wo kommst du her? Wie alt bist du?). Überrumpelt von soviel Wissensdurst und Disziplin versuchen wir mit den beiden zu „üben“. Natürlich reicht die Zeit lange nicht aus. Und als der Zug tönt und die beiden davonlaufen, lassen sie uns schwer beeindruckt zurück.
Ich erinnere mich daran, wie meine Mutter mich damals zum Vokabelnlernen zwingen musste. Für die Kinder hier ist es Highlight und eine Riesenchance ein paar Brocken Englisch mit den Ausländern auszutauschen. Wir winken den Zweien nach und glauben fest daran, dass der Junge ein aufgeschlossener und netter Touristenguide wird.
Die Fahrt ist zwar alles andere als bequem aber sie macht Spaß. Die Waggons hüpfen auf den Gleisen. Schaut man zwischen die Waggons, sieht es beinahe so als, als wären sie nicht mehr verbunden. Die Türen scheppern und knarzen, aber alles hält. Wie schon seit Jahrzehnten. Wir hören Musik, hängen unseren Gedanken nach, halten die Nase aus dem Fenster, spüren den angenehmen Fahrtwind und machen Fotos von den herbeieilenden Kindern. Ich wundere mich, warum ich Bahn fahren eigentlich sonst so verabscheue. Grade erscheint es mir wie das schönste und beruhigenste auf der Welt.
Kurz vor der Brücke wird der Zug noch langsamer. Neben uns tut sich langsam der Abgrund auf, über den die Eisenbrücke führt. Der Zug fährt fast nur noch Schritttempo und die anderen Ausländer rutschen etwas nervöser auf den Sitzen herum, bereiten die Kameras vor und loten aus von wo der beste Blickwinkel ist. In einer Rechtskurve ruckelt der Zug erst durch einen Tunnel und dann auf die Brücke. Die Brücke ist wirklich verdammt hoch und verdammt schmal. Wir können nur darauf vertrauen, dass diese Konstruktion einfach schon seit über 100 Jahren hält und nicht ausgerechnet heute den Geist aufgeben wird. Natürlich hängen wir uns auch aus dem Fenster und versuchen so viele Bilder wie möglich zu machen. Bei einer Länge von knapp 700m, die gefühlt bei Schrittgeschwindigkeit zurückgelegt werden, bleibt aber auch noch ausreichend Zeit um nur zu staunen.
Mit der Brücke im Rücken schaukeln wir weiter Richtung Mandalay. Ich habe zum ersten Mal das Gefühl im Land Myanmar angekommen zu sein, sich die Zeit genommen zu haben alles zu beobachten. Und nicht darüber zu urteilen, wie mitteralterlich uns hier alles auf den ersten Blick vorkommt. Sondern die Schönheit der Einfachheit zu bestaunen. Vielleicht ist es das naive Kind in mir, dass sich manchmal zurück wünscht in eine Zeit, in der ein vorbeifahrender Zug ein Highlight ist, in der die Möglichkeit zur Bildung die einzige Chance ist, in der man einen Porzellanhahn behandelt wie ein rohes Ei. Eine Zeit in der asphaltierte Straßen die Ausnahme sind, wo ein Zug noch ein modernes Reisemittel ist, wo Arbeit nicht an einem Computer stattfindet sondern auf dem Feld. Wo wir wirklich fremd sind, aber wo wir immer interessiert und neugierig aufgenommen werden.
Völlig ausgeglichen und mit einem beseeltem Lächeln im Gesicht kommen wir wieder im Nylon Hotel an. Der Portier lässt sich zu einem schiefen Lächeln hinreißen und scheint ein bisschen erleichtert, dass Luc einfach seinen Reisepass zum einchecken hervorzückt. Obwohl wir heute nicht viel gemacht haben, fallen wir erschöpft ins Bett und freuen uns auf das typisch burmesische Frühstück am nächsten Morgen.
März 2015.









